Landwirtschaft mit Zukunft

Veröffentlicht am 14.12.2020 in Politik
 

Als ich den Themenvorschlag „Landwirt­schaft mit Zukunft“ für das diesjährige Debattencamp eingereicht habe, hätte ich nicht im Traum damit gerechnet, dass er angenommen wird. Mir ist es ein Herzens­anliegen aber ich habe immer eher den Eindruck, damit in unser Partei relativ allein zu stehen. Umso erfreuter (und auch ein wenig erschrocken) war ich, als ich die Zusage für ein eigenes Meet-Up beim Debattencamp zu diesem Thema erhielt .

Da das gesamte Debattencamp rein digital stattfand, konnte ich bequem daheim blei­ben. Die Vorbereitung vom Willy-Brandt-Haus war hochprofessionell, es gab ein Testmeeting, um technische Probleme schon im Vorfeld auszuräumen und auch während des Meetings war die ganze Zeit ein Mitarbeiter als technischer Support mit dabei. Bei über 60 Teilnehmern, die nicht nur sehr diskussionsfreudig, sondern auch im Chat noch sehr mitteilsam waren, war ich recht froh, dass er dann auch bei der Moderation etwas geholfen hat, indem er die Wortmeldungen im Auge behielt.

Inhaltlich ging es um die Landwirtschaft im Spannungsfeld und wie sie zukunftsfähig gemacht werden kann. Dabei lag mein Schwerpunkt nicht auf Utopien, sondern darauf, konkrete Punkte für das Wahlpro­gramm zur Bundestagswahl herauszuar­beiten. Ein ambitioniertes Vorhaben für ein 40-minütiges Zeitfenster. Aber es gab jetzt im Anschluss bereits mehrere Anfragen von Teilnehmern, das Thema Landwirtschaft in Zukunft gemeinsam weiter zu bearbeiten, was mich sehr freut und hoffen lässt, dass es nicht bei dem kurzen Austausch bleibt.

Es gibt viele berechtigte Forderungen von Verbraucher*innen nach mehr Bio, mehr Tierwohl, mehr Naturschutz, weniger Pestiziden, etc. Es muss nur klar sein, dass all dies den Ertrag verringert. Wenn uns Corona eines deutlich gezeigt hat, dann wie abhängig wir jetzt schon von Importen und Lieferketten sind. Und wie es uns geht, wenn mal nicht alles immer sofort verfüg­bar ist. Berichte über Hamsterkäufe haben eines wieder in den Blickpunkt geführt: die ausreichende Versorgung mit Lebens­mitteln.

Gleichzeitig steckt die Landwirtschaft in einer tiefen Krise. Sie hat viel Vertrauen verloren, die Umwelt leidet unter ihr (und gleichzeitig die Landwirte unter den Umweltschäden) und die Einkommensseite sieht gerade bei unseren kleineren Betrie­ben im Schwarzwald so düster aus, dass die meisten nur noch im Nebenerwerb quasi als Hobby bewirtschaftet werden können.

In Deutschland ernährt ein Landwirt heute 134 Menschen. Das sind achtmal mehr als 1960. Anderseits kommt ein immer gering­erer Teil dessen, was Verbraucher für Nahrungsmittel bezahlen, bei den Erzeu­gern an. Insgesamt betrug ihr Anteil an den Verkaufserlösen 2019 nur noch rund 22 Pro­zent – 1980 lag er noch fast doppelt so hoch.

Ich sehe die Landwirtschaft vor allem im Spannungsfeld zwischen den folgenden Einflüssen:

Verbraucher*innen

Als Verbraucher*innen wünschen wir uns regionale Lebensmittel in hoher Qualität, die möglichst immer verfügbar sind. Sicher müssen sie sein und es sollte zu jeder Zeit ein reichhaltiges Angebot geben. Dabei sollen sie hohe Standards im Klima-, Natur- und Tierschutz erfüllen. Gleichzeitig erwar­ten wir von der Landwirtschaft, dass sie in unwirtlicheren Gegenden Landschaftpflege betreibt. Und das alles bitte sauber, geräusch- und vor allem geruchslos. Auf der anderen Seite haben viele Menschen (gera­de in den Städten) jeglichen Kontakt zur Landwirtschaft und zu den Primärproduk­ten verloren. Sie kaufen ihre verarbeiteten und zubereiteten Lebensmittel und genauso wie der Strom aus der Steckdose kommt, wachsen diese im Supermarkt.

Tierschutz

Tierschutzrelevante Themen, seien es das Kükenschreddern, das Schnäbelkürzen, die Kastenstandhaltung von Sauen, die Ferkel­kastration oder die Anbindehaltung bei Kühen, kommen immer nur dann und immer nur kurz in den Fokus der Aufmerk­samkeit. Meistens dann, wenn etwas daran geändert wird. Dann ist der Aufschrei in der Regel riesig, die Empörung schlägt Wellen, es ist zu wenig, zu langsam, zu spät. Dabei wird geflissentlich ignoriert, dass die Zu­stände, die nun geändert werden sollen, schon Jahrzehnte so bestehen. Viel zu lange schon wird versucht mit teils absurden und meistens quälerischen Methoden, Tiere den Haltungsformen anzupassen. Oder so massiv auf ein gewünschtes Produkt zu züchten, dass auch darüber Qualen ent­stehen. Dies muss grundlegend geändert werden, aber dafür ist ein Um­denken erforderlich und keine Einzelmaß­nahmen.

Klima- und Naturschutz

Wir alle erinnern uns noch an das Volksbegehren „Pro Biene“, dass im Ansatz das richtige wollte, dabei aber viel zu weit übers Ziel hinausschoss. Gut, dass es gelang, einen Kompromiss zu erreichen. Monokulturen sind zweifellos schädlich. Andererseits ist es für den Klimaschutz auch schädlich, wenn Verbraucher*innen Produkte außerhalb der Saison oder von der anderen Seite des Erdballs kaufen. Hier einfach nur auf die Landwirtschaft zu zeigen ist zu kurz gesprungen. Auch das Verbot von Pestiziden hat immer zwei Seiten. Derzeit gibt es kein erlaubtes Mittel mehr, dass gegen Drahtwürmer bei Kartoffeln eingesetzt werden kann. Die Fraßschäden führen zum Teil zum Verlust der kompletten Ernte. In der heutigen Landwirtschaft geht es häufig nicht darum, mit dem Einsatz von Pestiziden den Ertrag zu optimieren, sondern um alles oder gar nichts. Womit wir wieder beim Thema sichere Lebensmittelversorgung wären. Einfache Lösungen wird es da nicht geben.

Einkommen

Auch ein Landwirt will von seiner Arbeit leben können. Derzeit erzielt er im Schnitt 40 % seines Einkommens über Subventionen. Die gemeinsame Agrarpolitik ist einer der größten Haushaltsposten der EU. Das meiste Geld wird dabei über die sogenannte 1. Säule ausgeschüttet. Dort werden zwar auch z.B. Blühstreifen über die Greening-Maßnahmen unterstützt, der weitaus größte Anteil ist jedoch die Basisprämie, die derzeit 175 Euro je Hektar Land beträgt. Es wird also der Besitz von Grund und Boden subventioniert, ohne das irgendwelche Bedingungen (außer dass es landwirtschaftlich genutzt sein muss) damit verbunden sind. In der 2. Säule dagegen werden gezielt Maßnahmen für den Klima- oder Naturschutz, zur Landschaftserhaltung und zur regionalen Entwicklung gefördert. Dieser Teil muss dringend weiter ausgebaut werden und dafür bei Großgrundbesitzern, die Monokulturen auf riesigen Flächen anbauen, gespart werden.

In Deutschland gibt es mittlerweile eine handvoll großer Supermarktketten, die den Erzeugern die Preise diktieren können. Gerade kleinere Familienbetriebe können da nicht mithalten. Es braucht andere Vermarktungsstrukturen, nicht nur auf dem Land, sondern auch in städtischen Gegenden.

Klimawandel

Heißere und trockenere Sommer haben einen unmittelbaren Einfluss auf die Landwirtschaft und die Lebensmittel­erzeugung. Bewässerung ist nur in manchen Gegenden und bei manchen Kulturen möglich. Selbst die Weidehaltung von Tieren wird immer schwieriger, weil das Gras vertrocknet und nicht genug nach­wächst. Die benötigten Flächen werden dadurch immer größer. Außerdem bringt das wärmere Klima neue Schädlinge und Parasiten zu uns. Extremwetterlagen mehren sich, so dass nicht nur mit Ernte­rückgängen, sondern auch mit Totalaus­fällen häufiger gerechnet werden muss. Umstellungen auf andere Sorten oder Kul­turen dauern ihre Zeit und müssen auch vom Verbraucher akzeptiert werden.
Wo kann die Politik ansetzen? Was wären konkrete Lösungsvorschläge, die auch Eingang in unser Wahlprogramm finden sollten?

Hier wurde zunächst auf Verbraucherseite die Bildung angeführt. Sowohl Ernährung, Zusammensetzung und Zubereitung von Speisen, ein Verständnis für die Produkte und ihre Herstellung als auch ein Verständ­nis dafür, welche Konsequenzen das eigene Konsumverhalten hat, lassen sich nur in der Schule vermitteln und sind eventuell für unser aller Zukunft wesent­licher als man­ches andere auf dem Lehrplan (ich führe hier jetzt mal bewusst keine Beispiele an...).

Dass die 1. Säule der Direktzahlungen dringend zugunsten der 2. Säule umge­schichtet werden muss, fand allgemeinen Konsens.

Generell sollte unsere Landwirtschaft nicht deshalb das Nachsehen haben, dass sie strengere Klima-, Natur- und Tierschutz­standards als andernorts erfüllt. Wir müssen fordern, dass Importe aus Dritt­ländern die gleichen Standards erfüllen müssen.

Das Landschaftspflegegeld sollte ausge­baut werden. So kann in Gegenden, in denen Landwirtschaft nicht auskömmlich möglich ist, eine Art Gehalt für die Offen­haltung und Pflege von z.B. Hanglagen gezahlt entstehen.

Wir müssen die Betriebe bei der Anpassung an den Klimawandel und Umstellung auf klimaangepasstere Kulturen unterstützen.

Ja, wir werden weniger Fleisch und andere tierische Produkte konsumieren müssen, wenn wir es Ernst meinen mit dem Kampf gegen den Klimawandel . Deshalb müssen wir auch beim Ausstieg aus der Tierhaltung zugunsten von weniger klimaschädlichen Lebensmitteln helfen. Mehr Gemüse- und Obstanbau führen gleichzeitg auch zu einer besseren Eigenversorgungsquote in unserem Land. Kantinen in staatlichen Gebäuden, Schulen, Unis, etc. sollten hier schon mal mit gutem Beispiel voran gehen und vermehrt vegetarische Gerichte anbieten. Auch eine CO2-Bepreisung von Lebensmitteln könnte ein Mittel sein, um das Konsumverhalten insgesamt in klimafreundlichere Bahnen zu lenken.

 

Homepage Dr. Birte Könnecke